Theresienstraße

Das Titelthema der Citykirche beschäftigt sich mit „Andenken“. Herr Dr. Frommer, was verbinden Sie mit dem Begriff Andenken? 

Herr Dr. Frommer: Andenken wörtlich genommen heißt: ich kann, darf, soll oder muss an etwas denken!

Im Rahmen der Stadtverführungen bieten wir spezielle Führungen durch das Egidierviertel an. Da gibt es viele Orte des Gedenkens und Andenkens. Die Nürnberger haben auf einmal wieder großes Interesse daran, was sich alles hinter dem einen oder anderen Ort verbirgt. Dies belebt Erinnerung und Deutung.

Sie sind 2. Vorsitzender des Egidienberg e.V. In dem Flyer des Vereins ist ein Zitat von Ihnen zu lesen:

ALLES WAS VON NUERNBERG JE WESENTLICH GEWORDEN

IN RELIGION UND PHILOSOPHIE

IN NIEDEREN UND HOHEN SCHULEN

ET MUSICA SOLLEMNIS

IST AUSGEGANGEN VON DIESEM HUEGEL

DARUM BEWAHRET BEFÖRDERT UND BESTEIGT DEN

EGIDIENBERG

BIS AN DER STADT ENDE

Herr Dr. Frommer, stellen Sie den Lesern der Citykirche kurz Ziel und Anliegen dieses Vereins vor.

Herr Dr. Frommer: Die Laudatio, die Sie gerade zitiert haben, beschreibt diese ziemlich genau. In älteren Büchern heißt es:

„Der Egidienberg ist einer der schönsten und wichtigsten Plätze der Stadt.“

Indes, durch die großen Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg und die mängelbehaftete Entwicklung danach, ist er immer mehr aus dem Bewusstsein verschwunden. Er war der Berg der Religion und Bildung – und noch heute sind dort eine Vielzahl kultureller, kirchlicher, gymnasialer und universitärer Einrichtungen vorhanden. Wir haben die Erinnerung an Melanchthon und Hegel; letzterer wahrscheinlich mit mehr Gewicht – hat er doch acht Jahre am Egidienplatz gewohnt und gewirkt, sein bedeutendstes Werk (von der „Wissenschaft der Logik“) verfasst und seine Maria Tucherin geehelicht.

Ich wohne in der Judengasse. Es wird in Nürnberg kaum beachtet, dass die letzte reichsstädtische Judenansiedlung 1350-1498 unterhalb des Egidienbergs lag und dort deutliche Spuren hinterlassen hat.

Derartige Erinnerungen wieder zu beleben und ihre Bedeutung zurückzugewinnen, ist eine zentrale Aufgabe unseres Vereins.

Es gibt viele Möglichkeiten des Gedenkens und Andenkens am Egidienberg. Wenn Sie nun eine historisch bedeutsame Persönlichkeit wählen, derer Sie gedenken, welche Person wählen Sie?

Herr Dr. Frommer: Gehen wir miteinander durch die Theresienstrasse zum Theresienplatz. In reichsstädtischer Zeit war die Dieling Gasse die Verbindung zwischen Rathaus und Laufer Gasse, die Einmündung aber der Heumarkt. Die Neubenennung stand im Zusammenhang mit dem Besuch des königlichen Paares Ludwig I. und Therese anlässlich des 8. Bayerischen Nationalfestes, das 1833 in Nürnberg stattfand. Angeblich beruhte die Änderung des Straßennamens darauf, dass das königliche Paar mit der Kutsche stets über das Laufer Tor in die Stadt hinein- und hinausfuhr. Wir machen aber sicher keinen Fehler, die Wahl Thereses durch den Stadtmagistrat für den Platz wie für die Gasse (die gleichzeitig zur vornehmeren Straße erhoben wurde) auch mit der evangelischen Konfession der Tochter eines (kleinen) Großherzogs von Sachsen-Hildburghausen in Verbindung zu bringen.

Was hat die Bezeichnung Dieling mit dem Egidienberg zu tun?

Herr Dr. Frommer: Das ist eine schöne Geschichte:

Es geht um niemand anderen als St. Egidius, früher einmal einer der bedeutendsten Heiligen überhaupt. St. Gilles war – neben Santiago in Spanien – das wichtigste Wallfahrtziel des Mittelalters. Die Nürnberger wandern noch heute gern nach Sackdilling in der Oberpfalz und fahren zum Gillamos in der Hallertau. Es sind dies alles Orte des Egidius, der selbst fast ganz in Vergessenheit geraten ist. Im Mittelalter leistete Nürnberg indes mit dem Egidienkloster einen bedeutenden Beitrag zum Egidius-Kult – immerhin war Egidius der erste Stadtheilige von Nürnberg.

War es überhaupt in Ordnung, dass der Weg des Heiligen, der ja direkt vom Rathaus hinausführt nach Osten bis Prag, plötzlich in Theresienstraße um„getauft“ wurde? Aber irgendwie passte auch Therese zum Egidienviertel! Das winzige Fürstentum, dem Therese entstammte, gehörte ebenso wie Nürnberg zum alten „reichischen“ Deutschland wie – weil südlich vom Rennsteig gelegen – zum fränkischen Sprachgebiet und war als „Klein-Weimar“ zu einer liberalen Stätte von Kultur und Bildung geworden. Es gibt Parallelen zum Egidienkloster, das als erstes Kloster in Nürnberg bereits 1525 von dem gelehrten Abt Pistorius der Stadt übergeben und fortan der Bildung gewidmet wurde. Melanchthon, der das heute nach ihm benannte Gymnasium gründete, und später Hegel mit ihren zeitgemäßen Schulreformen haben sich dieser Aufgabe gestellt, die der städtische Bildungsberg bis heute erfüllt. Das Egidienkloster wurde aus einer religiösen Stätte ein Ort humanistischer und fachlicher Bildung.

 

Und wie kam das gut katholische Bayern mit einer protestantischen Königin zurecht?

Herr Dr. Frommer: Die ersten drei Königinnen Bayerns von 1806 bis 1864 waren evangelisch. Da steckte gewiss auch staatsmännisches Kalkül dahinter: der Wittelsbacher-Staat wollte demonstrieren, dass er durchaus auch Nichtkatholiken (fast ein Viertel der Bevölkerung war nun evangelisch) fair regieren konnte. Als Kronprinz Ludwig am 12.Oktober 1810 Therese in München heiratete (ihr zu Ehren wurde der Ort des damit verbundenen Volksfestes auf ewige Zeiten „Theresienwiese“ benannt), war ihm die zugesagte evangelische Religionsausübung seiner Frau durchaus recht, weil er damit seine Offenheit und Toleranz zeigen konnte. Nach 1830 war die liberale Phase des Königs zu Ende, was zwar die Haltung des Königs zu Therese nicht veränderte, wohl aber massive Konversionsversuche des Klerus auslösten, die freilich erfolglos blieben. Dies wiederum führte zu äußerst unwürdigen Szenen einer diskriminierenden kirchlichen Bestattung von Therese. Zunächst in der Theatinerkirche 1854 und dann in St. Bonifaz 1856.

Am Ende kommt es auch hier noch zu einer schönen Geschichte: Im Jahre 2002 wurde Thereses Leichnam in der Kirche St. Bonifaz vom früheren Egidier Pfarrer und Stadtdekan, damals bayerischer Landesbischof und jetzt Ehrenprediger von St. Egidien Dr. Johannes Friedrich, in einem Marmorsarkophag neben dem Sarkophag ihres Gatten eingesegnet. Mitgewirkt haben auch Altabt Odilo Lechner und Mitglieder des Hauses Wittelsbach. Wir haben hier ein wunderbares, offenbar von St. Egidius gestütztes Zeichen dafür, dass die Konfessionen sich nicht mehr bekriegen, sondern das Heil gemeinsam suchen und finden wollen.

Lassen Sie uns doch noch etwas teilhaben an der Lebenswirklichkeit von Königin Therese.

Wenn wir daran denken, kommen wir recht schnell zu den Geschichten um die Frauen des Königs Ludwig I. Sie enthüllen, dass Theresa eine Ehe mit großen Schwierigkeiten zu führen hatte, die sie schmerzensreich, aber souverän meisterte. Ludwig war ein interessanter und attraktiver Ehemann und hat Therese auf seine Weise auch geliebt. Vor allem aber liebte er seine Geliebten – die Maitressen. Wir sind in einer Zeit, wo dieses „Vorrecht“ der Könige eigentlich – wenigstens in deutschen Fürstenhäusern – zu Ende ging. Trotzdem übten Königin und Volk in der Regel Rücksicht – bis auf zwei Fälle hoffnungsloser Verliebtheit des Königs: 1821/31 die „philosophierende Schönheit“ und „ausgesprochene Freigeist“ Marianna Florenzi, sowie 1846/48, bereits eine Alterstorheit, die windige Lola Montez, die ihn schließlich seinen Thron kostete. Therese hat alle offiziellen Funktionen, bei denen die Beiden eine Rolle spielten, rundweg abgelehnt und ist notfalls sogar zu ihrer Familie entflohen. Besonders kränkend war für die Königin der Geiz des Königs ihr gegenüber, während dieser seine besonders Geliebten „fürstlich“ ausstattete. Nach der Thronentsagung fanden die beiden aber wieder zusammen; über den Choleratod seiner Frau 1854 war Ludwig – der seine Frau um 14 Jahre überlebte – untröstlich.

Erwähnenswert ist aber vor allem auch, dass Therese als „Gebärmaschine“ gebraucht worden ist, was damals als wichtigste Aufgabe der Königinnen gesehen wurde: von ihren neun Kindern ist nur eines schon als Kleinkind verstorben. Alle anderen erscheinen wieder in der fürstlichen Welt, darunter Maximilian II., der Nachfolger des Vaters. Das Verhältnis Thereses zu diesem Sohn wird als schwierig bezeichnet. Ihr Lieblingskind war der Sohn Otto, der als Siebzehnjähriger 1833 der erste König von Griechenland wurde und trotz hunderter Briefe der Mutter bis zu seiner Absetzung 1862 ein König ohne Fortune blieb. Mit Fug und Recht kann behauptet werden, dass die bis heute so schwierige Situation Griechenlands mit Otto ihren Anfang nahm.

Königin Therese hinterlässt sehr viele Andenken. Die Spuren führen ins Egider Kloster. Die Spuren führen auf den Egider Bildungsberg. Sie führen sogar nach Griechenland. Wir sollten noch einmal über die Nürnberger Spur nachdenken!

Die Nürnberger haben sie wohl als fränkisch-thüringische Protestantin verehrt und geehrt. Sie galt als fortschrittlich und liberal, wofür Ludwig im Vormärz nicht mehr stand. Es gibt die berühmte Szene, wo sie beim Nürnbergbesuch, anlässlich eines „ländlichen Frühstücks“ des Königspaars in der Moritzkapelle ein Gespräch mit dem „Kind Europas“ Kaspar Hauser führte und sich dabei der hochgefährlichen Theorie vom badischen Prinzen näherte. Sie hat in Nürnberg Einiges hinterlassen – ich kann nur hoffen, dass das, was wir bedenken konnten, bei Ihnen das Bild einer entfalteten Persönlichkeit geprägt oder auch nur abgerundet hat, welche die Benennung von Straße und Platz durchaus verdiente und vielleicht sogar die eigene Persönlichkeit berühren kann.

Herr Dr. Frommer, ein herzliches Dankeschön. Durch Ihr Engagement und Ihr Gedenken werden Spuren der Vergangenheit, das nicht mehr Sichtbare in unserer Stadt, ihre Geschichte und vor allem die Menschen die sich dahinter verbergen, lebendig erhalten.

(Text & Interview: Eva Lachner, Fotos: Madame Privé)